Manchmal schreibe ich ganz gerne Geschichten, auch mal ein Gedicht ...
Ich würde mich sehr über Meinungen, Anregungen, Kritiken usw. freuen.

Samstag, 27. Februar 2010

Wie man in der U-Bahn Freunde findet

Die Frau sieht irgendwie komisch aus, dachte Anna und schaute sich die alte Dame, die ihr gegenüber saß, genauer an. Sie sah diese zwar fast jeden Tag, wenn sie in die Schule fuhr, konnte aber nicht feststellen, was sie störte. Sie hatte eigenartige Haare, sie wirkten fast wie ein Helm, eisengrau, jede Strähne lag wie festgeklebt an ihrem Platz. Aber auch die knollige Nase kam Anna komisch vor, besonders mit dem Haarbüschel auf der Spitze, das war schon echt eklig. Anna dachte daran, dass ihre Mutter immer sagte, dass man Menschen nie nach ihrem Äußeren beurteilen sollte und so unterdrückte sie ihren Ekel und schaute der Frau wieder ins Gesicht. Die sah gerade hoch und lächelte das Mädchen an. Vor Schreck zuckte Annas Blick nach unten, jedoch die Füße der seltsamen Oma waren auch nicht gerade beruhigend, riesengroß steckten sie tatsächlich in Reitstiefeln. Aber immer noch besser als das Lächeln, das eindeutig viel zu viele und zu spitze Zähne enthielt. Anna wusste nicht, wo sie hinschauen sollte. Der Blick aus dem Fenster war in der U-Bahn nicht gerade interessant, aber da kam zum Glück Annas Haltestelle und sie konnte aussteigen. Schnell hastete sie die Treppen hinauf und versuchte dabei, das flaue Gefühl in ihrem Magen zu unterdrücken, dass weniger mit der U-Bahn-Oma, als vielmehr mit ihrem Ziel zu tun hatte, der Schule. Anna war eigentlich immer gerne in die Schule gegangen, bis zu dem Tag, an dem die Neue in die Klasse kam. Groß, überschlank, mit langen blonden Haaren, blitzend weißen Zähnen und einem betörenden Lächeln lagen ihr alle zu Füßen, beteten sie förmlich an und merkten dabei gar nicht, wie sie vereinnahmt wurden. Jeder erfüllte ständig irgendeinen Auftrag von Stefanie, die Anna für sich nur die Gottesanbeterin nannte. Sie schien die einzige zu sein, die deren Zauber nicht erlegen war. Anna war sich sicher, dass die vielen unerklärlichen Vorfälle der letzten Wochen alle auf Stefanies Konto gingen. Ob es Hausaufgaben waren, die kurz vor der Stunde aus Annas Tasche verschwanden, ein blitzartig ausgestreckter Fuß, der sie ausgerechnet in die einzige Schlammpfütze auf dem Schulhof stürzen ließ oder irgendeine andere Gemeinheit, Anna wusste ganz genau, wer dahinter steckte. Dabei war vieles wirklich sehr merkwürdig - wie konnten die Hausaufgaben aus der Tasche verschwinden, die Anna nie aus den Augen gelassen hatte und wie konnte sie in eine Pfütze fallen, die im Augenblick ihres Sturzes bestimmt drei Meter entfernt war? Während Anna noch grübelte, schloss sich die schwere Schuleingangstür gerade in dem Moment, als sie hindurchgehen wollte und quetschte ihr schmerzhaft die Schulter. „Du bist so ein Tollpatsch!“, höhnte eine verhasste Stimme. Die Gottesanbeterin stand auf der obersten Stufe der Treppe und sah triumphierend auf sie herab. „Das warst du!“, keuchte Anna und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schulter. „Beweise es!“, höhnte die Blonde und Anna glaubte, in ihren Augen ein grelles, rötliches Funkeln gesehen zu haben. Aber leider war sie sich auch sicher, dass sie nichts beweisen konnte, hatte die Tür sich doch geschlossen, als Stefanie schon auf der Treppe stand.  Anna hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken, die Mathestunde begann in 3 Minuten und sie musste sich beeilen. Völlig außer Atem kam sie mit dem Klingelzeichen in den Raum gehastet und ein weiterer schrecklicher Schultag nahm seinen Lauf.
Nach der letzten Stunde ging Anna langsam und nachdenklich die Treppe hinunter, ihre Schulter schmerzte noch immer und die Schultasche schien eine Tonne zu wiegen. „Aus dem Weg, du lahme Schnecke!“, ertönte hinter ihr eine Stimme, die sie überall erkannt hätte. Es war Felix, der süße Felix mit den dunklen Locken und der kleinen Nickelbrille, in den Anna schon seit Schuljahresbeginn heimlich verliebt war. Bevor das blonde Gift in die Klasse kam, hatte es den Anschein, als ob er ihre Gefühle erwiderte und sie standen kurz vor ihrem ersten Date. Jetzt trug Felix regelmäßig Stefanies Tasche treppauf und treppab und las ihr jeden Wunsch von den Lippen ab. Anna seufzte traurig, es war ungewöhnlich wie die ganze Schule auf Stefanie zu hören schien. Selbst die Lehrer ließen sich von ihr beeinflussen, wie sie in der Mathestunde am eigenen Leib erfahren musste. Als Herr Berkes Stefanie zur Leistungskontrolle an die Tafel bat, fragte diese mit honigsüßer Stimme: „Wollten sie nicht eigentlich Anna prüfen?“ Herr Berkes schaute etwas verwirrt und stotterte dann: „Mm, ja. Äh, ja, natürlich. Anna komm an die Tafel!“
Auch jetzt, nach der 7. Stunde, dachte Anna immer noch fassungslos über diesen Vorfall nach. Stefanies Macht über die Schule wuchs von Tag zu Tag und Anna stand ganz alleine da. Sie konnte mit keinem darüber sprechen, offensichtlich standen alle unter Stefanies Bann. Auch ihre Mutter würde ihr das sicher nicht glauben.
Immer noch völlig in Gedanken versunken, ging sie zur U-Bahn, wartete auf ihren Zug, stieg ein und setzte sich auf einen freien Platz. Als sie hoch blickte, schaute sie geradewegs in die hellen Augen der seltsamen alten Dame. Anna erschrak. Schnell holte sie ihr Mathebuch aus der Tasche und vertiefte sich in die Hausaufgaben, irgendwie musste sie schließlich die schlechte Note von heute morgen wieder ausbügeln.
Eine eigenartige Stille breitete sich aus, selbst die Fahrgeräusche der U-Bahn waren verstummt. Anna blickte von ihrem Buch auf – abgesehen von ihr und der alten Frau waren alle Fahrgäste verschwunden. „Was geht hier vor?“, fragte Anna panisch. Die Alte tätschelte ihr Knie und Anna konnte nicht umhin, die dicken, langen, hornigen Fingernägel zu bemerken. „Mach dir keine Sorgen, Anna.“, sagte sie freundlich. Auch ihre Stimme war komisch, dunkel und irgendwie knarzig und mit einem englischen Akzent. Anna war wie erstarrt, als plötzlich die Perücke verschwand, das Haarbüschel auf der Knollennase zu wachsen begann, die Fingernägel sich zu scharfen Klauen streckten, die Zähne länger und noch spitzer wurden und die ganze Frau in die Höhe und Breite wuchs. Mit einem hässlichen Geräusch platzten die blankpolierten Reitstiefel auseinander und auch hier kamen grässliche Klauen zum Vorschein. Das Mädchen brachte vor Entsetzen keinen Ton heraus, in ihrem Kopf hallte nur ein unablässiges nein, nein, nein. Sie schloss die Augen und hoffte, dass gefressen zu werden nicht allzu weh tun würde.
Die widerlichen Geräusche der Verwandlung waren verstummt. Anna presste immer noch die Augenlider zusammen. Als Ungeheuerfutter zu enden erschien ihr der logische Abschluss für einen echt miesen Tag.
Als nichts geschah, blinzelte sie vorsichtig und öffnete dann die Augen. Ihr gegenüber saß ein wahrer Albtraum, ein Monster aus einem Horrorfilm und hatte eine Alte - Damen - Handtasche auf dem linken, riesigen, knorpeligen Knie stehen. Anna öffnete den Mund um zu fragen, warum sie noch nicht aufgefressen war, aber nur ein heiseres Krächzen kam heraus. „Well, mein liebes Kind, ich will dich nicht fressen.“, sagte das Ungeheuer und stellte sich höflich vor: „Mein Name ist Amanda.“ „Äh, angenehm. Anna.“, flüsterte diese und streckte zögernd ihre Hand aus, die in Amandas Pranke sofort verschwand. „Ich weiß wer du bist.“, knarzte das Wesen und schüttelte behutsam Annas Hand. „Was bist du und was ist hier los ?“, fragte Anna, die das Gefühl hatte, dass nichts mehr sie erschüttern würde. „Man könnte sagen, ich bin hier zu Hause.“, antwortete das Ungeheuer. „Ich bin eine U-Bahn-Trolla und kam 1902 nach Berlin, als hier die erste Metrostrecke eröffnet wurde.“ „Woher?“, fragte Anna. Die Trolla erzählte: “Ich kam aus London, da bin ich seit 1890 im Einsatz gewesen. Als die Industrialisierung weiter fortschritt, da mussten wir Trolle uns anpassen. Wälder und sichere Höhlen gab es immer weniger. Weil wir ja bekanntlich im Sonnenlicht zu Stein werden, ist das Trollvolk in die U-Bahn-Schächte gezogen.“ „Und London hatte die erste U-Bahn.“, erinnerte sich Anna. „Aber warum bist du nach Berlin gekommen?“ Die Trolla schaute besorgt aus dem Fenster, aber da war natürlich nur das schwarze Nichts zu sehen. „Es würde zu lange dauern, dir jetzt alles zu erklären. Ich muss dich etwas wichtiges fragen.“ Anna fühlte, wie sie Vertrauen zu dem Geschöpf fasste, außerdem fand sie den englischen Akzent richtig niedlich. Eine Frage hatte sie allerdings noch: „Warum trägst du als alte Dame ausgerechnet Reitstiefel?“ Die Trolla zeigte verlegen auf ihre Füße und erklärte: „Ich habe selbst für unsere Art ungewöhnlich große Füße und das wirkt sich auch negativ auf meine Tarnung aus. Diese Stiefel sind die einzigen die passen.“ „Und außerdem glänzen sie so schön.“, fügte sie verschämt hinzu. Anna musste grinsen, was ihr jedoch schnell wieder verging, als Amanda ernst fragte: “Gab es in letzter Zeit an deiner Schule irgendwelche komischen Vorfälle oder sind unangenehme Personen aufgetaucht?“ Anna sprudelte die ganze Geschichte mit der verhassten Stefanie heraus und das Gesicht der Trolla wurde immer besorgter. „Wie sieht diese Stefanie denn aus?“, fragte sie. Als Anna die Blondine beschrieb und auch das rote Glitzern erwähnte, da erbleichte Amanda, soweit das bei der fahlen gelbgrünen Haut einer Trolla möglich war. „Es hat also wirklich wieder einer geschafft.“, stöhnte sie verärgert. „Wer hat was geschafft?“ , wollte Anna aufgeregt wissen. „Wir treffen uns morgen wieder, dann erzähle ich dir alles.“, sagte Amanda und machte merkwürdige Verrenkungen mit ihren Fingern.  Alles schien zu verschwimmen und plötzlich saß Anna in der normalen U-Bahn voller Menschen und die Oma mit den Reitstiefeln lächelte sie an. „Tomorrow morning.“, raunte sie Anna zu.
Am nächsten Morgen stieg Anna sich wie gewohnt in die U-Bahn ein. Sie war sich nicht sicher ob die Ereignisse vom Vortag ein Traum gewesen waren, aber schon setzte sich die alte Frau zu ihr. Als alle Geräusche verstummten, die anderen Leute verschwanden und Amanda ihre wahre Gestalt annahm, war Anna nicht im geringsten verängstigt, sie war sehr gespannt auf die Geschichte der Trolla und brannte darauf, es Stefanie heim zu zahlen. „Erzähle!“, drängte sie. Amanda begann: „Wie du dir sicher denken kannst, sind wir Trolle nicht die einzigen magischen Wesen auf der Erde. Seit wir die U-Bahn-Schächte als neue Heimat wählten, ist es für uns eine Frage des Überlebens, diese zu beschützen. Heute gibt es in jeder U-Bahn auf der Welt mindestens einen Wächter-Troll.“ „In Berlin bist du das!“, warf Anna aufgeregt ein. „Ja, als der Berliner Wächter verschwand, wurde ich von London hier her beordert.“ „Vor wem müsst ihr denn die U-Bahn schützen?“, wunderte sich Anna. „Vor den Bus-Elfen. Das Elfenvolk war immer auf Zwietracht aus und wollte die alleinige Herrschaft über die Menschenwelt erringen, aber der alte Trollhäuptling Barnulf belegte sie mit einem Bann und von nun an müssen sie in Bussen auf der ganzen Erde wohnen, in jedem Bus einer.“ „Das hat ihnen aber bestimmt nicht gefallen.“, warf Anna ein, die Busse nicht mochte. „Nein und deshalb versuchen sie auch, den Bann zu brechen.“ „Geht denn das?“ „Nicht solange noch ein Troll in einer U-Bahn lebt. Erst wenn das Trollvolk vernichtet ist, dann löst sich der Zauberbann und die Elfen sind wieder frei.“ „Das wäre schrecklich.“, sagte Anna. „Aber was hat das mit Stefanie zu tun?“ „Manchmal kann ein Elf irgendwie aus einem Bus entkommen und dann versucht er, den U-Bahn-Troll einer Großstadt zu vernichten. Weil er das nie alleine schaffen würde, schleicht er sich in einer großen Schule ein und bringt dort alle unter seinen Bann.“ Anna wurde auf einmal vieles klar. „Dann organisiert er einen Schulausflug mit der U-Bahn. Natürlich gibt es während des Ausflugs einen schrecklichen Unfall mit vielen Toten und deren Geister hetzt der Elf auf den Troll.“ Anna war erschüttert. Ihre Mitschüler und Amanda sollten wegen dieser dämlichen Blondine sterben. Amanda zog ein Fläschchen aus der Tasche. „Es gibt einige wenige Menschen, die stark genug sind, den Verlockungen der Elfen zu widerstehen. Du gehörst zu ihnen.“, sagte sie ernst. „Die eigentliche Schwierigkeit sind immer wir Trolle. Die Kontaktaufnahme geht meistens schief, weil wir so furchtbar aussehen. Zum Glück bist du nicht ohnmächtig geworden oder schreiend davon gerannt wie so viele andere.“ Wieder musste Anna daran denken, was ihre Mutter über Äußerlichkeiten gesagt hatte. Mütter schienen meist recht zu behalten. „Was kann ich tun?“, fragte sie entschlossen. Die Trolla reichte ihr die Flasche. „Wenn du Stefanie dazu bringst das zu trinken, wird sie sich auflösen und es gibt einen Bus-Elfen weniger auf der Welt.“ Anna steckte das Fläschchen vorsichtig ein. „Verlass dich auf mich.“, sagte sie ernst.
In der Schule unterdrückte sie ihren Brechreiz und benahm sich wie alle anderen – sie himmelte Stefanie an. Sie ging sogar so weit, deren Tasche von einem Raum zum anderen zu tragen. Der verkleidete Bus-Elf grinste selbstzufrieden, stand doch seinem Plan nun nichts mehr im Weg. So griff Stefanie auch ohne zu überlegen zu, als Anna ihr nach der Sportstunde ganz selbstverständlich ihre Wasserflasche reichte und trank alles in einem Zug aus. Die anderen Mädchen im Umkleideraum bemerkten das sanfte Pfff, mit dem Stefanie verschwand, nicht einmal und die kleine lila Pfütze auf der Bank, die von ihr übrig blieb, wischt Anna schnell mit ihrem Sporthemd weg, das musste sowieso in die Wäsche.
Anna konnte es nicht erwarten, Amanda von ihrem Sieg zu berichten. Es kam ihr vor, als ob die ganze Schule aus einem Dornröschenschlaf erwacht wäre. Alle redeten wieder über die üblichen Dinge, keiner schlich katzbuckelnd durch die Gänge, die Lehrer ärgerten unvoreingenommen und ohne Ausnahme alle Schüler, kurz Anna befand sich wieder an einer völlig normalen Schule.
„Wollen wir uns nicht mal treffen?“ fragte plötzlich eine Stimme. Annas Herz machte einen Sprung. Felix! War er immer noch der Richtige? Nach kurzem Überlegen zog sie ihn in Richtung U-Bahn und sagte: „Komm mit. Ich möchte dir gern jemanden vorstellen.“

Dienstag, 16. Februar 2010

Finnland – ein Traum

Matango Batango seufzt tief. In der glühenden Sonne steht er auf einem Bein und hütet die Rinder des Königs. Seine tiefschwarze Haut bildet einen wirkungsvollen Kontrast zum grellen Gelb der Hirtenhose, die in dem kleinen, fast vergessenen Königreich im Herzen des heißen Kontinents Vorschrift für alle königlichen Rinderhirten ist. Im leichten Wind, welcher nur allzu selten kurzfristige Linderung bringt, klingeln leise die Glöckchen am reich verzierten Hirtenstab, dem Symbol seines verantwortungsvollen Amtes.
Das Dasein als königlicher Rinderhirte hat viele Vorteile. Neben der regelmäßigen, aber eher kargen Bezahlung darf man mit seiner Familie am Hof des Königs und damit in unmittelbarer Nähe der besten und ergiebigsten Wasserstelle des Landes wohnen. Hat man die schier unlösbare Aufgabe bewältigt, das Vieh unbeschadet und ohne Verluste durch ein ganzes Jahr zu bringen, kann man sich eins der minderwertigeren Kälber aus der Herde des Königs aussuchen. Wirklich gute Hirten können es mit ein wenig Glück im Laufe ihres Lebens auf eine recht stattliche Herde und somit zu Reichtum bringen, immer vorausgesetzt sie vernachlässigen die königlichen Rinder nicht. Auf Krankheit, Verletzung oder gar Verlust  eines Tiers der Herde des Königs stehen drastische Strafen. Man muss zum Beispiel ein verlorenes oder eingegangenes Rind aus der eigenen Herde ersetzen, selbstverständlich mit seinen besten Tieren. Verletzt sich ein Tier, so wird dem unglücklichen Hirten durch die Soldaten des Königs die gleiche Verletzung zugefügt. Im schlimmsten Fall presst man ein Mitglied der Familie des Hirten in den königlichen Dienst. Die Sklaverei gilt zwar schon seit Jahrzehnten offiziell als abgeschafft, jedoch für die armen Familienmitglieder im Dienste des Königs macht das kaum einen Unterschied.
Matango ist noch recht jung. Den Posten eines königlichen Hirten hat er seinem Onkel zu verdanken. Dieser war nach vielen Jahren aus dem Dienst ausgeschieden. Zwar fehlten ihm nun der linke Arm, ein Fuß und das rechte Auge, aber er nannte eine ziemlich große Rinderherde, zwei Frauen, 17 Kinder und schon 9 Enkelkinder sein eigen. Er war wohl der erfolgreichste Hirte, den der königliche Hof je gesehen hatte und so durfte er seinen Nachfolger selbst bestimmen. 
Die Wahl fiel auf seinen Neffen, den Sohn seines Lieblingsbruders und natürlich erwartete er auch die entsprechenden Dankesbezeugungen seitens der Familie. Aber eigentlich ist Matango Batango ihm überhaupt nicht dankbar. Wenn er so auf einem Bein in der heißen Sonne steht, von den meisten seines Stammes wirklich glühend um den Job beneidet, dann entweicht ihm immer wieder ein Seufzer. Er hat einen Traum, einen großen, schönen, aber leider unerfüllbaren Traum.
Er träumt von Finnland.
Schuld daran ist netter älterer Herr, seines Zeichens Wissenschaftler, der vor drei Jahren in die Savanne gekommen war um zu forschen. Den zu jener Zeit noch halbwüchsigen Matango hatte er als Träger, Führer, kurz gesagt als Mädchen für alles angeheuert und auch damals schon war dieser zum Gegenstand des kollektiven Neides in seinem Dorf geworden. Die Dorfbewohner gelangten zu dem Schluss, dass er schon immer anders war, ein Träumer, zwar fleißig und von vielversprechendem Wuchs, aber eben ein Träumer. Matango war das völlig egal. Er zog mit Master Mikka (Den unaussprechlichen Familiennamen des Herren brachte er nicht über seine Zunge, aber Mikka erschien ihm fast afrikanisch.) durch Busch und Savanne und sammelte nach den Anweisungen seines Arbeitgebers Erde in kleinen Fläschchen, Steine in kleinen Beuteln und unerklärlicherweise musste er immer wieder Blätter, sowohl essbare, als auch nutzlose, ja sogar giftige in einem Buch verstauen. Trotzdem ihm viele Anweisungen Master Mikkas unverständlich erschienen, führte er sie fleißig und ohne Zögern aus und irgendwie entstand im Laufe der Wochen zwischen den beiden so etwas wie Freundschaft.
Nachdem sie am Tage ausgiebig gearbeitet und geschwitzt hatten, das heißt Matango hatte mehr gearbeitet und Master Mikka hatte noch mehr geschwitzt, bauten sie am Abend ihr Lager auf und genossen gemeinsam die Abkühlung, die der Einbruch der Dunkelheit mit sich brachte. Matango bereitete das Essen und räumte später alles wieder auf. Dabei beeilte er sich immer sehr, denn er konnte es kaum erwarten, seinen Platz zu Master Mikkas Füßen einzunehmen und dessen Erzählungen zu lauschen. Jeden Abend berichtete dieser von seiner Heimat, von Finnland. 
Der staunende Matango erfuhr ganz und gar unglaubliche Dinge. Kann man sich ein Land denken, in dem es tausend Seen gibt? Schwer vorstellbar für einen afrikanischen Jungen, dessen Dorf sein Wasser aus einem stinkenden Tümpel bezog, aus dem immer zuerst die Rinder des Königs saufen durften und dessen braune schlammige Brühe in Trockenperioden von den königlichen Soldaten rationiert wurde. Und das Wasser in diesen Seen, so wusste der Master zu berichten war unglaublich klar und rein und manchmal sogar tief. Nicht genug, dass das Land so viele Seen sein eigen nennen konnte, es befand sich auch noch am Meer! Es ist nicht verwunderlich, dass Matango manchmal bei sich dachte, dass es auf der Welt sehr ungerecht zugeht.
Jeden Abend lauschte er gebannt den Erzählungen des Mannes aus diesem Wunderland. Der berichtete von weißen Nächten, in denen die Sonne auch am Abend nicht verschwindet, es aber trotzdem niemals so heiß wie in Afrika wird, von riesigen Herden der absonderlichsten Tiere, den Elchen und Rentieren. Mikka erklärte, er solle sie sich wie Rinder mit Hirschgeweihen vorstellen, nur größer und schöner anzusehen. Er schwärmte auch von den riesigen Wäldern, die drei Viertel des Landes bedecken, grün, schattig und angenehm kühl im Sommer. Im Land des weißen Mannes gab es keinen König, alle Kinder gingen in die Schule, lernten Lesen und Schreiben und vieles mehr. Matango konnte das nicht glauben, wer verrichtete denn dann die niederen Arbeiten, hütete Ziegen und holte Wasser?
Sehr bedenklich erschien ihm auch die Sache mit der Frau, die das Land regierte und der trotzdem nicht alles gehörte. Wie konnten sich die finnischen Männer das gefallen lassen?
Man musste auch in Finnland nicht alle Wege zu Fuß erledigen, auf den Bildern, die Matango an sich schon bewundernswert fand, waren seltsame Gebilde zu sehen. Da konnte man Kästen in den verschiedensten Formen bewundern, mit Rädern aus Gummi oder kostbarem Eisen, nicht aus Holz wie an den kümmerlichen Karren der Dorfbewohner. Man musste sie auch nicht ziehen, sondern angeblich fuhren sie von alleine, angetrieben von einer seltsamen Flüssigkeit. Vielleicht hatten die Finnen ja Geister beschworen und durch einen großen Zauber in diese Kästen gesperrt. Sie hatten sicher mächtige Schamanen in Finnland. Es gab sogar Menschen, die fuhren Wettrennen mit besonders schnellen Kisten. Master Mikka war besonders stolz auf einen, der so hieß wie er und zweimal schnellster Kistenfahrer der Welt wurde. Er behauptete, dass dieser Mann mit seiner Kiste schneller als ein Gepard wäre, da konnte Matango nur ungläubig lächeln.

All das war jedoch nichts gegen eine absolut erstaunliche Sache, von der Master Mikka immer wieder sprach – dem Schnee. In der Gluthitze der afrikanischen Savanne konnte Matango sich absolut nichts darunter vorstellen und auch Erklärungsversuche fruchteten nicht. Eine von Mikka gezeichnete Schneeflocke ließ ihn an den Schmuck der Häuptlingsfrauen denken, aber wie sollte ein ganzes Land davon bedeckt sein? Erst die Erwähnung des Kilimandscharo brachte den Jungen auf die richtige Spur, er hatte schon einmal einen Mann getroffen, der den großen Berg als Träger für ein paar weiße Männer bestiegen hatte. Dieser hatte ihm von diesem weißen Zeug erzählt, das den Gipfel bedeckte und so strahlend weiß, glitzernd und kalt war. Matango konnte aber trotzdem kaum glauben, dass es Zeiten und Orte geben sollte, in denen so etwas den ganzen Tag vom Himmel fiel und auch noch überall liegen blieb. Wahrscheinlich verwirrte diese Unmenge des weißen Zeugs den Bewohnern Finnlands den Verstand, so schlussfolgerte Matango, denn Master Mikka erzählte ihm, dass viele Menschen sich dann, im sogenannten Winter Bretter unter die Füße schnürten und damit über das Land glitten oder steile Abhänge herunterfuhren. Manche todesmutige Menschen stürzten sich sogar an seltsamen Gebilden, die ein bisschen wie die Nase der Häuptlingstochter von der Seite aussahen, hinab und flogen dann ein Stück durch die Luft. Aber sie hatten gar keine Flügel, nur die mysteriösen Bretter an den Füßen, wie Matango auf den Bildern deutlich erkennen konnte. Es musste schon ein wundersames Land sein, wo so etwas möglich war.
Die Leute mit den Stöcken, die der kleinen schwarzen Scheibe hinterher rannten und auf weiße kleine Netzkästen zielten, die konnte der junge Afrikaner schon eher verstehen. So etwas ähnliches spielten auch die afrikanischen Männer. Natürlich hatten sie keine Netzkästchen, sie verkleideten sich dafür nicht als Dämonen und sie spielten im Staub des Dorfplatzes und nicht auf Eis, welches eigenartigerweise den Fußboden eines Hauses bedeckte. Master Mikka fand dieses Spiel genau so interessant wie sein Träger, doch seltsamerweise nannte er es Sport, wo es doch eigentlich das pure Vergnügen war.
So zogen die beiden wochenlang durch Afrika, Matango arbeitete, Master Mikka forschte und erzählte. Es verging kein Abend, an dem er nicht staunend die Augen aufriss und auch ein klein wenig am Wahrheitsgehalt der vielen Geschichten zweifelte. Ein Häuschen in dem man Feuer macht, alle Türen und Fenster verschließt, Wasser auf glühende Steine gießt und dann freiwillig darin bleibt, das verbannte er sofort ins Reich der Fantasie. So blöd konnte doch nun wirklich kein Mensch sein.
Manchmal, besonders gegen Ende ihrer Expedition, hatte Matango den Eindruck, dass sein Master Mikka mit den Tränen kämpfte, wenn er von seiner Heimat sprach. Er schloss daraus, dass dieser Finnland wirklich liebte. Ein Land das jemanden zu Tränen rührt, das kann nur ein außergewöhnlich herrliches Land sein. Er wollte auch nach Finnland, Schnee sehen, in Kästen auf Gummirädern fahren, sich Bretter unter die Füße binden und gleiten, ja er hätte sich sogar auch einmal in so eine komische heiße Hütte ohne Fenster gesetzt, wenn er nur jemals dieses wunderbare Land zu Gesicht bekäme.
Natürlich ging Master Mikka ohne Matango nach Finnland zurück. Er entlohnte ihn großzügig, wünschte ihm alles Gute und schenkte dem Jungen zu guter Letzt noch ein Bild, auf dem Menschen mit Brettern an den Füßen durch den Schnee glitten.
Nun ist Matango Hirte des Königs. Wenn er versucht, den Dorfbewohnern etwas von Finnland zu erzählen, dann lachen sie ihn aus und nennen ihn einen Spinner. Das tun sie gerne, denn sie beneiden ihn um den Job. So haben sie wenigstens das Gefühl, ihm ein bisschen etwas von seinem unverschämten Glück weg zu nehmen. Aber Matango Batango stört das nicht. In der glühenden Sonne Afrikas steht er auf einem Bein bei den Rindern des Königs. Er träumt von Finnland. Und seufzt.

Wer im Rampenlicht steht

Es ist nicht zu fassen! Wer im Rampenlicht steht, hat Mühe, das Publikum zu erkennen. Das hat mal der Schweizer Journalist und Schriftsteller Walter Ludin gesagt. Und wie recht er hatte! Wie sollte ich auch sehen können, dass meine Schwiegermutter in der ersten Reihe sitzt? Ausgerechnet in der Aufführung in der meine Schwiegermutterparodie am besten gelungen war. Muss ein Schauspieler nicht aus dem prallen Leben schöpfen? Wo soll ich heute Nacht schlafen? Ich kann doch nicht nach Hause fahren als wäre nichts gewesen – oder doch?
Wäre Bernd nur nicht in die Garderobe gekommen um mir Blumen zu bringen. Dann hätte ich nicht gewusst, dass die beiden heute hier waren, ich hätte wenigstens einen unbelasteten Heimweg, könnte in Gedanken den heutigen Erfolg noch einmal durchgehen und mich auf zu Hause freuen. Oder wäre er wenigstens vor der Vorstellung gekommen, dann hätte ich doch ganz anders gespielt! Hätte ich das?  Eigentlich nicht!  Ich mutiere doch wegen der Kuh nicht zur schlechten Schauspielerin! Wo ich mir die Rolle so sehr gewünscht hatte! Na ja, nicht unbedingt die Rolle der bösen Schwiegermutter, die romantische Heldin wäre mir schon lieber gewesen, aber dafür muss man ja mit dem Regisseur schlafen wie diese hässliche Schlampe von Hauptdarstellerin. Dazu bin ich mir wirklich zu schade.
Diese Schminkspiegel werden auch immer billiger und an der Garderobenbeleuchtung haben sie ganz schön gespart. Ein paar Glühbirnen mehr hätten nicht geschadet! Zum Glück bin ich mit meiner empfindlichen Haut nicht auf primitive Theaterkosmetik angewiesen, dafür sorgt mein Bernd schon. Ohne mein wohl gefülltes Beautycase betrete ich keine Theatergarderobe. Wozu hat man einen gut verdienenden Mann, wenn er auch nicht der allerschönste ist.
Dass seine heiß geliebte Mutter bei uns wohnen muss, ist allerdings nicht gerade das Gelbe vom Ei. Das ständige Herumschnüffeln und diese Besserwisserei gehen mir doch sehr auf die Nerven, zumal mein eigener Ehemann seine Mutter für ein Geschenk Gottes an die Menschheit und speziell an uns hält und natürlich keinerlei berechtigte Kritik gelten lässt.
Als ob ich nicht selber in der Lage wäre unseren Haushalt zu führen, abzuwaschen, die Wäsche zu waschen, zu bügeln, zu kochen, einzukaufen, Fenster zu putzen, den Garten zu pflegen, die Straße zu kehren und was sonst noch an Kleinigkeiten anfällt. Aber wenn sie unbedingt alles alleine machen will – wer bin ich, sie daran zu hindern.
Diese Parkplatzbeleuchtung spottet jeder Beschreibung! Irgendwann werde ich bestimmt überfallen, wenn nicht gar vergewaltigt! Ich muss ja mein Auto immer ganz in die Ecke stellen, weil ich mich so schäme! Bernd hätte mir doch etwas besseres kaufen können, als ausgerechnet diesen kleinen Asphaltpickel! Einen Mercedes oder BMW hätte ich schon als angemessen empfunden, aber jeden Samstagabend, wenn ich nach unserer langweiligen ehelichen Pflichterfüllung (zu der ich mich bewusst nur einmal pro Woche herablasse) danach frage, wiegelt der Olle ab.
 Zum Glück haben wir keine Kinder, ich will mir ja nicht die Figur ruinieren. Das ist für sie auch so ein Nörgelthema, das ewige Gebettel um wenigstens ein Enkelkind. Nicht dass sie sich das laut zu sagen getraut, aber die vorwurfsvollen Blicke auf meine Tamponschachtel wenn ich sie mal beim Reinigen des Badezimmers störe, die sprechen doch Bände! Ich fühle mich da immer regelrecht angeschrieen!
Dann noch das ewige Auf – Den – Knien – Rutschen! Man könnte bei uns vom Fußboden essen, aber wer will das schon. Ich steh doch eher auf das Meißner von der alten Schrulle. Wollte die mir doch einreden, das wäre nur für sonntags und wenn Besuch kommt. So was Spießiges! Wenn auch mal was runter fällt, mit meinen gepflegten Händen und Nägeln kann ich eben nicht so fest zupacken.
 Mal sehen ob ich nach meiner Supervorstellung heute Abendbrot kriege – eigentlich hatte meine geliebte Schwiegermutter ja den ganzen Tag Muße zum Essen kochen, aber vielleicht hat sie  auch wieder ihre Zeit mit der neuen Nachbarin verquatscht. Wie mir die Schwärmerei auf den Geist geht! Sie ist so nett, sie ist so kinderlieb, sie ist so reinlich, sie ist so fleißig, sie ist so hilfsbereit, sie ist so bescheiden und hübsch ist sie auch noch! Ich habe sie mir extra mal angesehen, als sie gerade die Treppe gewischt hat – hübsch, dass ich nicht lache! Unscheinbar, keinen Nagellack, keine Schminke, die Haare ungestylt und dann diese Schürze! Aber was soll man schon von Schwiegermama erwarten, die ist so naiv, ja unbedarft, der kann doch jede was vormachen.
Endlich! Den Wagen muss Bernd rein fahren, jedes Mal breche ich mir am Garagentor beinahe einen Fingernagel ab. Es duftet nach Pizza! Sollte die Alte endlich mal von ihren ewigen altmodischen Rezepten abgewichen sein und was Richtiges zum Abendbrot gemacht haben?

Da stehen die doch im Flur und empfangen mich mit einem Glas Champagner! Sie gratulieren mir zum tollen Auftritt. Ich fasse es nicht, da habe ich mir wegen denen völlig umsonst Sorgen gemacht!
War bestimmt nur billiger Schampus, so wie der nach Mandelaroma schmeckt. Sogar Fräulein Perfekte Nachbarin ist zum gratulieren gekommen, die hat sich ja aufgebrezelt, man könnte wirklich fast sagen, das sie hübsch aussieht. Schwiegermama sieht regelrecht glücklich aus. So habe ich sie das letzte Mal vor unserer Hochzeit lächeln sehen. Und was macht Bernd? Er schmachtet die Schürzenfee an und legt seinen Arm um beide Weiber. Was ist mit mir? Denen werd ich gleich …
Was mache ich auf dem Fußboden? Sehen die nicht, dass ich gestürzt bin? Warum eigentlich, ich hatte doch nur das Glas Begrüßungschampagner?
Ihr sollt mir helfen!
Na endlich! Nicht in den Flurteppich rollen! Die Fusseln versauen mir das ganze   ...

Nauenwitzer Neuste Nachrichten

Durch einen tragischen Unfall verstarb gestern plötzlich und unerwartet ein Mitglied des Nauenwitzer Laientheaters, Frau Rosemarie Welz, geb. Schand. Auf dem Heimweg von der diesjährigen Vorstellung für unsere Senioren im Gemeindesaal kam ihr Renault aus bisher ungeklärter Ursache von der Straße ab und stürzte in die Pleß.
Ihr Ehemann und ihre Schwiegermutter sind tiefbetroffen und stehen noch unter Schock. Auch sie haben keinerlei Erklärung zum Unfallhergang. Sie warteten zusammen mit der Nachbarin auf die Verstorbene, um gemeinsam ihren Auftritt zu feiern, als der Unfall geschah.